Dec
8
2020

JIMI HENDRIX: HIPPIE-ABENTEUER AUF HAWAII

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Es sind zwei ganz besondere Auftritte und sie zählen zu den letzten im Leben des Jimi Hendrix: Am 30. Juli 1970, nur knapp sieben Wochen vor seinem frühen Tod, rockt Gitarrenhexer Hendrix mit Billy Cox (Bass) und Mitch Mitchell (Drums) auf Maui, Hawaii unter freiem Himmel, am Fuße des Haleakalā-Vulkans. Jetzt erscheinen mit “MUSIC, MONEY, MADNESS… JIMI HENDRIX LIVE IN MAUI“ diese Aufnahmen in Ton und Bild. Ein rockhistorisches Dokument…

Text: Alex Gernandt 

“Allein dieselbe Luft zu atmen wie ER war etwas ganz Besonderes“, erinnert sich Toningenieur Eddie Kramer an seine unvergessliche Zeit mit Jimi Hendrix. “Ich übertreibe nicht. Jimi war ein Genie, ein Einzigartiger. Für mich war es ein absolutes Privileg, in Gegenwart dieses Ausnahmekünstlers sein zu dürfen. Er bleibt eine Klasse für sich!“

Eddie Kramer, Tontechniker der bahnbrechenden Hendrix-Studioalben “ARE YOU EXPERIENCED“, “AXIS: BOLD AS LOVE“ und “ELECTRIC LADYLAND“ unterstreicht mit diesen Worten, wie außergewöhnlich Jimi Hendrix war, der am 18. September 1970 mit nur 27 Jahren viel zu früh verstarb, aber dessen künstlerisches Echo bis heute nachhallt.

Kramer betreut zusammen mit Jimis Schwester Janie seit vielen Jahren die posthumen Hendrix-Veröffentlichungen und ist auch mitverantwortlich das neueste Projekt: “JIMI HENDRIX – LIVE IN MAUI“, das die einzigartige Dokumentation “MUSIC, MONEY, MADNESS… JIMI HENDRIX IN MAUI“ beinhaltet, die jetzt auf BluRay erhältlich ist. Ein aufsehenerregendes Projekt, das Jimi Hendrix und seine Mitstreiter Billy Cox und Mitch Mitchell nach Hawaii führte, ein Hippie-Abenteuer, zusammengefasst mit den Worten “Musik, Kohle, Chaos“. Was steckte hinter diesem Trip, wie war es dazu kommen?

Nach der Trennung von Entdecker und Förderer Chas Chandler übernimmt 1968 Co-Manager und Finanzier Michael Jefferey die Geschäfte bei Hendrix. Der ehemalige Berufssoldat und Geheimagent des MI6, arbeitete zuvor als Clubbesitzer in Newcastle und als Manager von The Animals und kennt daher Chandler. Jeffery gilt als undurchsichtiger Geschäftsmann, dem nachsagt wird, gern in die eigene Tasche zu wirtschaften über Banken auf den Bahamas und Nova Scotia. Im Jahr 2009 beschuldigt ein ehemaliger Roadie Jeffery gar des Mordes an Hendrix, da dieser zuvor eine Lebensversicherung für Hendrix abgeschlossen habe und sich selbst als Begünstigten eintragen ließ, um im Todesfall eine Versicherungssumme in Höhe von über eine Million Pfund zu kassieren. Jener zwielichtige Jefferey, der im März 1973 bei einem Flugzeugabsturz in Frankreich ums Leben kommt, ist es, der sich eines Hippie/Newage-Filmprojekts namens “Rainbow Bridge“ annimmt, bei dem er als Produzent agieren will und Jimi Hendrix eine Rolle spielen soll. 

Hendrix ist zu dieser Zeit daran, Songs für das Nachfolgealbum zu “ELECTRIC LADYLAND“ aufzunehmen. Ursprünglich will er sich von seinen Gagen einen Live-Club in New York leisten, um jederzeit auftreten zu können, wenn ihm danach ist. Sein Toningenieur Eddie Kramer hat eine bessere Idee: “Jimi hatte den ‚Generation‘-Club in Manhattan im Auge. Ich sagte zu ihm: Deine Studiokosten belaufen sich auf 300.000 Dollar im Jahr, das ist Wahnsinn! Lass uns lieber ein eigenes Aufnahmestudio bauen, das beste der Welt. Er war begeistert von der Idee und so entstanden in eben jenem Generations-Club für eine Million Dollar die Electric Lady Studios. Jimi war somit der erste Musiker mit eigenem Aufnahmestudio“, so Kramer rückblickend im Interview mit dem Autor.

Aber es entsteht dadurch auch gehöriger finanzieller Druck, denn die Baukosten überschreiten das Budget deutlich. Manager Jeffery muss agieren: Es gelingt ihm, vom damaligen Label Warner einen Vorschuß von einer Million Dollar zu bekommen. Mit der einen Hälfte des Geldes will er das Studio finanzieren, mit der anderen den Film “Rainbow Bridge“ realisieren, mit dessen Idee Regisseur Chuck Wein an ihn herangetreten ist, ein New-Age-Hippie-Film, eine Art Weiterführung von “Easy Rider“ mit Peter Fonda und Dennis Hopper, der kurz zuvor sehr erfolgreich gelaufen ist.  

Chuck Wein, genannt “The Wizard“, der Zauberer, kommt aus der avantgardistischen Factory-Clique um Andy Warhol, was Jeffery fasziniert. Wein interessiert sich für Okkultismus, Astrologie, LSD und glaubt an die Macht kosmischer Energie. Er will, dass Jimi Hendrix in dem Streifen auch eine Rolle spielt, der charismatische Saitenzauberer aber sieht sich keineswegs als Schauspieler und zeigt sich nicht sonderlich interessiert. 

CHAOS UND KREATION!

Als Drehort für “Rainbow Bridge“ wählt Wein die Hawaii-Insel Maui. Es gibt kein Drehbuch, auch keine durchdachte Planung. Als “Regenbrücke-Brücke“ sieht der spirituell veranlagte Wein den ideellen Ort zwischen der “erleuchteten Welt“ und der nicht aufgeklärten Welt. Ein Ort starker kosmischer Kraft. Aspekte wie Yoga, Meditation und Tai-Chi sollen einbezogen werden. Ohne Drehbuch und professionelle Schauspieler entsteht bald ein verworrenes Hippie-Chaos. Aus New York lässt man attraktive Models als Statisten einfliegen, auf der Insel werden Biker, Hippies, Yogajünger, Surfer und Urlauber zum Mitmachen eingeladen. Ein Teil des Film soll eine Live-Performance von Jimi Hendrix darstellen – am Fuße des Vulkans Haleakalā, was auf deutsch „Haus der Sonne“ bedeutet und mit der Sage verbunden ist, dass der Halbgott Māui die Sonne dort eingefangen habe. “Wir haben schon viele Konzerte gespielt“, erinnert sich Basser Billy Cox in der Doku “MUSIC, MONEY, MADNESS“, “aber der am Fuße dieses Vulkans war ganz sicher der abgefahrendste.“

Jimi Hendrix, der mit seiner Experience ursprünglich für ein Konzert am 1. August 1970 in Honolulu gebucht ist, sieht die Zeit auf Hawaii als sowas wie Urlaub an. “Unser Manager hatte uns eine Auszeit von 30 Tagen versprochen“, so Cox. “Von einem Filmdreh war damals nie die Rede. Wir wurden quasi vor Ort überrumpelt.“ Regisseur Wein, der Mühe hat, das Chaos in den Griff zu kriegen, baut einen Live-Auftritt Jimis in den Film ein, als eines der Highlights seines ambitionierten Werks. Auf der Baldwin Cattle Ranch im Örtchen Olinda am Fuße jenes Haleakalā-Vulkans lässt er eine kleine, fast notdürftig anmutende Bühne aufbauen, Generatoren für die Stromversorgung rankarren und ein paar Hundert Fans, die optisch dem Image des Films entsprechen. Zwei Auftritte von Jimi und seiner Experience sind angesetzt für jenen 30. Juli 1970. Die Zuschauer platziert Wein dabei alle nach Sternzeichen (!) geordnet, am Boden sitzend.  

EIN UNGLAUBLICHES SOUNDERLEBNIS!

Jimi, Billy und Mitch entern schließlich die Bühne, sind zum Greifen nah und liefern zwei explosive, energiegeladene Shows vor atemberaubender vulkanischer Landschaftskulisse – mit Titeln wie „Purple Haze“, „Foxey Lady“, „Voodoo Child (Slight Return)“ sowie bis dato unveröffentlichten Songs wie „Freedom“ und „Dolly Dagger“. Wie immer spielt Hendrix nach Gefühl und Gespür, eine festgelegte Setlist gibt es nicht, man agiert vollkommen frei. “Für mich war dies eines der besten Konzerte, die wir je gespielt haben“, wird Drummer Mitch Mitchell später sagen. “Das war keine reguläre Show, es war ein unglaubliches Sounderlebnis!“ Das Powertrio Hendrix, Cox und Mitchell befindet sich zu jener Zeit auf seinem absoluten künstlerischen Höhepunkt!

Nach Maui geht es wie geplant für ein Konzert nach Honolulu (im International Center), um danach in New York in den Electric Lady Studio weiter an neuen Nummern zu arbeiten und dann für weitere Festivalauftritte seiner “Cry Of Love“-Tour (u.a. Isle of Wight, Stockholm, Aarhus, Berlin, Fehmarn) nach Europa zu fliegen. Am 18. September 1970 der Schock: Jimi Hendrix, der bedeutendste Gitarrist der Gegenwart, verstirbt in London, im Alter von nur 27 Jahren.

MAUI – EIN ORT MIT SYMBOL-CHARAKTER!

“Für mich war dieser 18. September ein rabenschwarzer Tag“, sagt Tontechniker Kramer im Interview mit dem Autor. “Ich war in New York, und als ich ins Electric Lady Studio kam, waren alle niedergeschlagen, weil sie gerade die schreckliche Nachricht erhalten hatten. Jimis Tod war ein unglaublicher Schock, denn keiner hatte das kommen sehen…“ 

Der Film “Rainbow Bridge“ kommt erst 1971 in die Kinos und floppt fulminant. Keiner versteht das Konzept. Lediglich 17 Minuten von Jimis legendärer Live-Performance haben es auf Zelluloid geschafft und bekommen erwartungsgemäß gute Kritiken. Die Aufnahmequalität ist aus technischen Gründen teilweise so zweifelhaft, störende Windgeräusche etwa konnten nicht ausgeblendet werden, sodass Mitch Mitchell einige Drumparts in den Electric Lady Studio neu einspielen muss. Der Soundtrack zu “Rainbow Bridge“, der im Oktober 1971 erscheint, wird von Eddie Kramer und Mitch Mitchell fertiggestellt, mit einer Kollektion von Songs aus der Zeit zwischen 1968 und 1970 wie „Dolly Dagger“ und „Hey Baby (New Rising Sun)“.

Dank der Nachlassverwalter der Experience Hendrix L.L.C. in Zusammenarbeit mit Legacy Recordings/ Sony Music, können Hendrix-Fans nun Hendrix‘ sagenhafte Maui-Konzerte live erleben, auf Doppel-CD und Dreifach-Vinyl, vollständig überarbeitet und neu abgemischt vom originalen Hendrix-Soundmann Eddie Kramer und gemastert von Bernie Grundman. Und so Meister Hendrix noch einmal live in Action erleben in der Doku “MUSIC, MONEY, MADNESS… JIMI HENDRIX IN MAUI“, mit Songs wie “Hey Baby (New Rising Sun)“, “In From The Storm“, “Foxy Lady“, “Hear My Train A-Comin’“, “Voodoo Child (Slight Return)“, “Fire“, “Purple Haze“, “Ezy Rider“, “Stone Free“ oder “Spanish Castle Magic“. Die Blu-ray-Version enthält Bonusmaterial und alle existierenden 16mm-Farbfilmaufnahmen der beiden Live-Auftritte der Band vom Nachmittag des 30. Juli, die technisch neu aufbereitet wurden und in Stereo und auch im 5.1 Surround Sound angeboten werden. 

Unter der Regie von John McDermott und produziert von ihm, Janie Hendrix und George Scott liefert liefert “MUSIC, MONEY, MADNESS… JIMI HENDRIX IN MAUI“ tiefe Einblicke in die Ereignisse jener Tage auf Hawaii. Ein rockhistorisches Dokument, das auch unveröffentlichtes Material enthält sowie Interviews mit Billy Cox, Eddie Kramer und Regisseur Chuck Wein.

Für Jimi Hendrix war Maui ein Ort mit Symbolcharakter! Denn die exotische Pazifikinsel der schlummernden, aber unberechenbaren Vulkane, ist benannt nach dem polynesischen Halbgott, jenem, der einst den Menschen das Feuer brachte. Und genau das tat Hendrix schließlich auch. Mit seiner Gitarre.