Nov
11
2019

40 JAHRE „LONDON CALLING“: ALS THE CLASH ZUR REVOLUTION AUFRIEFEN!

The Clash

Mit LONDON CALLING gelang The Clash 1979 eines der wichtigsten Alben der Rockgeschichte. Der 40. Geburtstag wird gefeiert mit neuen Special Editionen und einem Buch.

Text: Alex Gernandt

Mitte Dezember 1979 erschien die längst legendäre Platte, auf der Mick Jones, Joe Strummer (†2002), Nicky „Topper“ Headon und Paul Simonon nicht nur verschiedenste musikalische Stilrichtungen wie Punk, Rock, Pop, Reggae, Jazz, Ska, Soul und Rockabilly verschmolzen, sondern sich auch mit kämpferischen, anarchischen Songtexten politisch einmischten in der stockkonservativen Thatcher-Ära. Die Clash-Songs waren ein Schrei nach sozialer Gerechtigkeit, ein Aufruf zur Revolution – und sind heute noch genau so relevant wie damals. The Clash hoben den Rock’n’Roll auf ein neues Level, wurden zur “only band that matters“ und zu Vorbildern von Acts wie The Jam, Green Day, U2 und Bruce Springsteen.

Zum 40. Jubiläum von LONDON CALLING, das 2003 in einer Umfrage vom US-Magazin Rolling Stone auf Platz 8 der „500 besten Alben aller Zeiten“ gewählt wurde, wird jetzt eine Special Edition als Doppel-CD und Doppel-Album veröffentlicht. Die Heavyweight Vinyl Edition des Albums wird in transparenter Außenhülle geliefert, die mit dem von Ray Lowry designten Schriftzug bedruckt ist. Zieht man die Hülle ab, ist das legendäre Cover-Foto von Pennie Smith zu sehen. Außerdem gibt es ein „Scrapbook“, ein 120-seitiges Hardcover-Buch, das handgeschriebene Lyrics, Notizen sowie Fotos und nie gesehenes Material aus der Entstehungszeit des Albums enthält. Doch was macht LONDON CALLING so besonders?

The Clash heben den Rock’n’Roll auf ein neues Level!

Großbritannien im Jahr 1979. Es sind triste Zeiten. Die Wirtschaft lahmt, die Arbeitslosigkeit liegt bei 5,5 %, die Inflation gar bei 17%. Die konservative Margaret Thatcher wird zur Premierministerin gewählt, die erste Frau an der Spitze der britischen Politik, bald „Iron Lady“ genannt. Sony bringt den ersten Walkman raus, Mutter Theresa gewinnt den Friedensnobelpreis. Im Fernsehen läuft amerikanischer Glamour – „Dallas“ und „Drei Engel für Charlie“, in den Kinos gruselt man sich bei „Alien“ und „Apocalypse now!“ Und in Sachen Musik? Da ist Vielfalt angesagt: In New York erfindet die Sugarhill Gang mit „Rapper’s Delight“ die Rapmusik, Pink Floyd begeistern ihre Fans mit dem Breitwandrock-Spektakel THE WALL und Michael Jackson solo mit OFF THE WALL. Genau in diese wirre Zeit, die Post-Punk-Ära (Sid Vicious von den Sex Pistols stirbt im selben Jahr mit 21 an einer Überdosis), stoßen The Clash mit ihrem dritten Album LONDON CALLING. Und sorgen für Furore. Nicht nur mit der Musik, in der sie gekonnt die verschiedensten Stile von Punk über Reggae bis Rockabilly mixen, sondern vor allem auch durch die politisch engagierten wie provozierenden Texte von Sänger und Gitarrist Joe Strummer, denen aber auch eine Prise Humor nie abgeht.

The Clash London Calling

In den Plattenregalen fällt LONDON CALLING auch rein optisch auf, durch das ikonisch wirkende Cover, dessen Artwork stilistisch eindeutig dem Debüt von King Elvis Presley (1956) nachempfunden ist. Es ziert das Albumlogo in altrosa und giftgrün, und auf dem Schwarzweiß-Foto von Pennie Smith zertrümmert Paul Simonon beim Gig am 21. September 1979 im New Yorker Palladium auf der Bühne aggressiv seinen Fender Precision Bass. Das einzigartige Motiv, eine spontane, ungekünstelte Momentaufnahme, hat viel Kraft – genau wie der Sound der Band, ungezügelt, wild, vor Energie und Wut strotzend – und innovativ.

Mick Jones, Gitarrist, Sänger und Bandgründer, erinnert sich in einem Interview an die Aufnahmen zu LONDON CALLING: „Irgendwann meldete sich unsere Plattenfirma im Studio: ‚Hey, wir brauchen noch einen Song‘ – ‚OK, gebt mir fünf Minuten!‘ Dann verzog ich mich mit Joe, und zack, hatten wir eine neue Nummer geschrieben. Joe setzte sich an die Schreibmaschine, so wie ein Journalist, und hämmerte einen Songtext in die Tasten. Mal war die Musik zuerst da, mal die Lyrics. Egal wie, bei uns ging alles ziemlich schnell.“ Das klingt ziemlich banal, aber der Impact ihrer Musik war immens.

Konstante Verwandlung und Weiterentwicklung!

Bei der Aufnahme in die „Rock & Roll Hall of Fame“ hieß es 2003 in der Laudatio, The Clash seien eine der „politischsten, explosivsten und spannendsten Bands in der Geschichte des Rock’n’Roll“. Dieser Ruf hat auch viel mit LONDON CALLING zu tun, das neben dem Debütwerk als das beste von The Clash gilt, als Meilenstein, der den Rock’n’Roll auf ein neues Level hob. In zeitlosen Nummern wie „London Calling“, „Jimmy Jazz“, „Brand new Cadillac“, „The Guns of Brixton“, „Lost in the Supermarket“, „Spanish Bombs“, „Wrong em Boyo“, „Revolution Rock“ und „Train in vain (Stand by me)“ geht es um so brisante Themen wie sozialen Abstieg, Arbeitslosigkeit, die Ausbeutung der Arbeiterklasse, Kapitalismus, Rassismus, Polizeigewalt, politische Unterdrückung und militärische Aggression. Joe Strummer, der Texter, hatte etwas zu sagen! Er engagierte sich politisch, war Mitglied der Anti-Nazi-League und machte bei der Aktion „Rock against Racism“ mit. Joe lieferte die explosiven Lyrics, die den Nerv der Zeit und vor allem der Jugend trafen. Ein Aufruf zur Rebellion, zur Revolution… „London calling to the faraway towns/ Now war is declared and battle come down/ London calling to the underworld/ Come out of the cupboard, you boys and girls…“ – Der Titelsong des Album bezieht sich auf die BBC-Radionansage: „This is London calling …“, die während der 2. Weltkriegs in viele Länder ausgestrahlt wurde.

Joe Strummer konnte man aufgrund seiner lyrischen Qualitäten und seines politischen Ausdrucks durchaus als den „Bob Dylan des Punk“ bezeichnen. Und seine Band stieß mit ihrer Musik die Tür weit auf für viele weitere Bands, die bald folgen sollten. Ohne The Clash, da sind sich viele einig, hätte es progressive Gruppen wie The Jam mit Paul Weller, Green Day, Bad Religion oder U2 womöglich nie gegeben.

Während die Ramones, quasi der US-amerikanische Counterpart von The Clash, ihrem Punkrock-Sound, ihrem Bandkonzept und ihrer Optik immer treu geblieben sind und dafür von ihren Fans gefeiert wurden, lebten Strummer & Co. von der konstanten Verwandlung und Weiterentwicklung. Dazu gehörte, dass sich keine Platte wie die andere anhörte. Man scheute sich eben nicht, auch andere Sounds, etwa Reggae auszuprobieren. Dieser Einfluß kam von Basser Paul Simonon, er brachte die funky Grooves ins Spiel, die u.a. auf dem von ihm komponierten „The Guns of Brixton“ zu hören sind, während Mick Jones mehr von britischen Klassikern wie den Beatles, den Stones, The Who, The Kinks oder den Small Faces beeinflusst war und Joe Strummer vom amerikanischen R&B und Soul. Sie kreierten einen abenteuerlichen Sound-Mix, der keine Grenzen kannte. Die bedeutungsvollen, engagierten Texte dazu machten die Band, die nie so obszön war wie die Sex Pistols, einzigartig und spannend.

The Clash die einzige Band, auf die es ankommt!

„Wir wollten immer mehr sein als nur Punk“, betonte einst Mick Jones, „und uns musikalisch nie limitieren. Unsere Plattenfirma erfand für uns irgendwann den Slogan: ‚The Clash the only band that matters!‘ Wir hätten das nie selbst von uns behauptet, aber mir sollte es recht sein. Jede Band will doch die beste sein, wenn sie jung ist.“

„Wir haben alles erfunden“, meinte der unvergessene Joe Strummer, gestorben 2002, mal augenzwinkernd in einem Interview, „also findet euch damit ab! Im Ernst, unsere Karriere war wie eine einzige Achterbahnfahrt. Und ich denke, wir haben sie zur richtigen Zeit beendet.“

The Clash Scrapbook

Zurück zum vielfach preisgekrönten LONDON CALLING, das jetzt 40. Jubiläum feiert mit den Special Releases auf CD und Vinyl und einem 120seitigen Scrapbook (CD bereits am 11. Oktober erschienen, Vinyl und Scrapbook erscheinen am 15. November 2019).

Im Titelsong, der ursprünglich „Ice Age“ heißen sollte, heißt es: „The ice age is coming, the sun is zooming in/ Engines stop running, the wheat is growin‘ thin/ A nuclear era, but I have no fear/ ‚Cause London is drowning, and I, I live by the river…“ Betrachtet man diese Zeilen, verfasst vor nunmehr 40 Jahren, vor dem Hintergrund der aktuellen Weltlage (und der Klimadebatte), spätestens dann merkt man, wie relevant The Clash und LONDON CALLING noch heute sind. Ein moderner Klassiker der Rockgeschichte.

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Bis Frühjahr 2020 auch zu besichtigen im Museum of London in der Ausstellung „The Clash: London Calling“.