Jan
30
2009

„No Line On The Horizon“ vorgehört

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Das neue, zwölfte Album von U2 wirft seinen Schatten voraus. Vier Wochen vor der Veröffentlichung wurde es in Berlin in den edlen Hansa Studios Pressevertretern vorgestellt, wo U2 einen Großteil ihres 1991er-Albums „Achtung, Baby“ aufnahmen. Eines steht bereits nach einmaligem Hören unter strengen Sicherheitsvorkehrungen fest: „No Line On The Horizon“ ist Superstar und Polit-Aktivist Bono wie auf den Leib geschrieben. Letztlich ist es seine Stimme, die Berge erklimmt, Seen durchschwimmt und dabei ihren Erzeuger als letztes Braveheart des Pop kultiviert, die U2 zu einer Band larger than life macht. Dabei behilft sich Bono auch diesmal allzu gerne mit dem, was er am besten kann: Gesangspassagen mit ‚Woo-Hoo‘-Chorussen zu überbrücken. Diesem Urschrei des Pop, einem großen, ausdrucksstarken Nichts. Neun von elf Songs kommen nicht ohne ‚Woo-Hoo‘ aus, sei es in Strophe oder Refrain. Eine wirkliche Neuigkeit ist das aber nicht. Zahme Experimentierfreudigkeit Es sind im Vorfeld einige Informationen zu „No Line On The Horizon“ durchgesickert: Experimentierfreudiger sollte das Album klingen. Das stimmt – dann doch nur halb. Denn jene Experimente beschränken sich meist auf die ersten wenigen Sekunden eines Songs. Die starten wiederholt mit elektronischen Klangteppichen und interessanten Beatspielereien, die dann zuverlässig von The Edges Gitarre durchschnitten werden und in für U2 typische, amerikanisierte Rocksongs münden. Bezeichnenderweise atmet vor allem Edges kristallines Spiel immer wieder den Geist von „The Joshua Tree“, jenem Album, das U2 den Durchbruch verschaffte. Wer möchte, kann hier sogar ihren Klassiker „I Still Haven’t Found What I’m Looking For“ im 2009er-Spiegel finden: „Magnificent“ heißt der Song – der Überhit des Albums, so viel ist sicher. Bassist Adam Clayton und Schlagzeuger Larry Mullen Jr. sorgen für einen treibenden Rhythmus, außen herum schmeicheln sich Panorama-Gitarren, und Bono besingt mit Zeilen wie „I was born to be with you“ die Liebe. So rückwärtsgewandt, aber auch so gut haben U2 lange nicht mehr geklungen. Die erste Single „Get On Your Boots“ kann da nicht mithalten, gerade weil darin das Songwriting der jüngeren Vergangenheit zu sehr durchschimmert. Der Song soll in seiner Ansprache wohl auch eher symbolische Wirkung haben: U2 sind zurück und strotzen in der breitbeinigen Gangart der Queens Of The Stone Age nur so vor Kraft und Selbstbewusstsein. „Vertigo“ vom Albumvorgänger „How To Dismantle An Atomic Bomb“ hatte die gleiche Botschaft, war aber der bessere Song. Yes, we can!-Rock in diversen Inkarnationen Was ist sonst los auf einem Album, das die Produzenten-Schwergewichte Brian Eno, Daniel Lanois und Steve Lillywhite zuverlässig dynamisch gen Horizont preschen lassen? Jede Menge. „No Line On The Horizon“ oder „Fez ? Being Born“ gehen mit Uptempo ordentlich nach vorne, sind mit Piano-Sprengseln spannend arrangiert und setzen auch Bonos Können punktgenau ein. „I’ll Go Crazy If I Don’t Go Crazy Tonight“ dagegen ist einfallsloser Mainstream-Rock, „Stand Up Comedy“ gerät mit seiner Mischung aus Crossover und Funkversätzen doch sehr ins Schwimmen, und „Breathe“ versucht holprig, Coldplays Klaviatur ins bandeigene Format zu übersetzen. Gelungen ist dafür Bonos Rollenbesetzung als lonesome cowboy, die das zurückgenommene „White As Snow“ und das abschließende Erzählstück „Cedars Of Lebanon“ zu atmosphärischen Albumnummern macht. „No Line On The Horizon“ steckt voll druckvollem variationsreichem „Yes, we can!„-Rock, dem ein wenig die herausragenden Melodien abgehen. Ein neues Album (beinahe) ohne Neuigkeiten also? Ab dem 27. Februar kann sich jeder sein eigenes Urteil bilden.