Nov
9
2016

Bob Dylan: Was war da los, im Jahr 1966?

Bob Dylan

Als Bob Dylan sich 1965 vom Folk abwendet, sind nicht alle Fans begeistert. Auf der Welttournee 1966 kommt es zu tumultartigen Szenen – Dylan nimmt es anscheinend gelassen, setzt sich eine Sonnenbrille auf und fordert seine Band auf noch lauter zu spielen. Doch innerlich plagen den Musiker erste Zweifel, ob er denn doch nicht zu weit gegangen ist. Zweifel, die nicht nötig waren, denn die Rockgeschichte hat Dylan recht gegeben. Mit THE 1966 LIVE RECORDINGS und THE REAL ROYAL ALBERT HALL 1966 CONCERT! erscheinen ein opulentes Boxset (36 CDs) und eine Doppel-CD mit allen bekannten Aufnahmen seiner epochalen Welttournee aus dem Jahr 1966.

Text: Jan Kubon

Leute hört her! – Die Zeiten ändern sich!!!

London 1966 – die Beatles bringen mit REVOLVER die Platte raus, die Pop für immer verändern sollte. Die Zeit der Unschuld ist vorbei. Drogen, neue Klangwelten halten Einzug in die Popmusik. Pink Floyd machen sich mit ihren surrealen Soundexperimenten auf den Weg den Popsong aus der 3- Minuten- Haft zu entlassen, The Who singen „The Kids are allright“ und geben ihrer Generation einen Schlachtruf. Und in Amerika? Da ist es Bob Dylan, der mit seiner eigenen Metamorphose vom Folkstar zum Rock’n’Roller die Musikwelt für immer verändern sollte. Die Popwelt ist in Aufruhr.

Ich trage meine schwarze Sonnenbrille!

Seit zwei Alben (BRINGING IT ALL BACK HOME / HIGHWAY 61 REVISITED) hat Dylan sich vom tradierten Folksong gelöst. Die Schiebermütze ist weg, die Akustikgitarre ist einer elektrischen Band gewichen. Dylan ist nicht mehr länger der Folkie, der Protestsänger. Ab jetzt ist er ein Rock’n’Roll Sänger mit verzerrter elektrischer Gitarre und Sonnenbrille. Er ist zurück auf dem Weg nach vorn, zurück zu seinen Wurzeln, dem Blues in seiner rauesten, lautesten Art. Von jetzt an ist er mehr Muddy Waters als Woody Guthrie.

Bob Dylan TapesDas Band läuft!

Die nun vorliegende Box THE 1966 LIVE RECORDINGS ( 36 CDs !) dokumentiert die vielleicht spannendste Phase Dylans als Livekünstler. THE 1966 LIVE RECORDINGS ist die erste komplette Sammlung aller bekannten Aufnahmen der 66-er Tour, die Dylan von Australien, über Skandinavien nach London führte.

Darauf zu finden sind sowohl Stereo-Mitschnitte, direkt vom Livetoningenieur Richard Alderson aus dem Mischpult heraus aufgenommen, Mitschnitte des CBS Mobile Records und als Ergänzung Mitschnitte, die von Konzertbesuchern gemacht wurden. Die nun erstmals offiziell veröffentlichten restaurierten und von den Originalbändern gemasterten Aufnahmen sind in Sachen Klangqualität um Längen besser als all die Bootlegs, die seit fünfzig Jahren existieren.

„Kommt Leute – das sind doch alles Protestsongs!“

Es ist aber gar nicht so sehr die überraschend gute Tonqualität, sondern vielmehr das, was zu hören ist, was diese Box zu etwas Besonderem macht. Die ganze Intensität der Konzerte ist auf einmal spürbar und nacherlebbar.

Nehmen wir die Paris Show: nach aggressiven Zwischenrufen, Aufforderungen, er soll doch nach Hause gehen, kontert Dlyan nur launisch: „Beruhigt euch, das sind doch alles Protestsongs!“ Und dann dreht er sich zu seiner Band und gemeinsam spielen sie eine der inspiriertesten Fassungen von „One Too many Mornings“. Die aggressive Stimmung auf den Rängen und die Magie der Musik auf der Bühne ist dank der hervorragenden Tiefenstaffelung der Aufnahme und der vorbildlichen Digitalisierung (Andreas Meyer und Rebekah Winemann) absolut greifbar.

Bob Dylan E-Guitar„How does it feel?!“

Dass solche Momente überhaupt festgehalten wurden, ist eher einem Zufall zu verdanken. Anfänglich eher sporadisch drückt der Toningenieur Richard Alderson am Anfang der Tour die Aufnahmetaste seines kleinen portablen Aufnahmegerätes, auch um sich einen Eindruck von seiner neuen Anlage und seinem Mischpult zu verschaffen. Später dann ab Anfang Mai werden die Konzerte komplett mitgeschnitten. So entstand diese fast vollständige Dokumentation der epochalen Tour quasi aus dem Zufall heraus.

Und egal, welche CD man aus der opulenten Box nimmt – innerhalb von ein paar Sekunden ist man von der musikalischen Qualität des 25-jährigen Dylan und seiner Band: Robbie Robertson (Guitar), Rick Danko (Bass, Background Vocals), Richard Manuel (Piano), Garth Hudson (Organ) und Mickey Jones (Drums) gefesselt. Der Sound ist roh, ehrlich, dreckig, Dankos Bass ist das Fundament, auf dem Robertson und Dylan ihre Hooks legen – Richard Manuel´s Orgel war schon damals unbeschreiblich präzise und Jones treibt mit seinem Spiel die ganze Band(e) an. Darüber die unverwechselbare Stimme Bob Dylans – das ist so berührend wie verstörend zugleich. Ja wie fühlt es sich denn an, wenn man sich missverstanden fühlt: „How does it feel???“ Es fühlt sich genau an, wie es Dylan in Paris (CD 26) singt. Wehmütig, verletzt und zornig. So klingt Rock’n’Roll – so klingt Dylans Version von Rock’n’Roll.

Das Ende eines Mythos – THE REAL ROYAL ALBERT HALL 1966 CONCERT!

Flankierend zur Box erscheint mit THE REAL ROYAL ALBERT HALL 1966 CONCERT! eine weitere Veröffentlichung aus den Bob Dylan Archiven. Hierbei handelt sich um das echte Konzert in der Londoner Albert Hall vom 26. Mai. Und damit wird mit einem Mythos aufgeräumt. Die legendären Judas Rufe, für die das sogenannte „Royal Albert Hall“ Konzert berühmt geworden ist, sind auf dem Album nämlich nicht zu hören: Wie auch? Denn dieser Vorfall, der zur Legende wurde, ereignete sich bereits einige Tage zuvor in der Trade Hall in Manchester am 17 Mai.

Mit THE REAL ROYAL ALBERT HALL 1966 CONCERT! erscheint nun der offizielle Mitschnitt eines der besten Konzerte, die Dylan auf seiner 66- er Tour gegeben hat. Und dabei standen die Vorzeichen für ein gelungenes Finale der Tour gar nicht so gut. Eigentlich sollte London der krönende Abschluss der Tour werden doch nach drei Monaten Tournee ist Dylan müde, am Ende – die intensiven Konzerte und die andauernde Kritik am „neuen“ Bob Dylan sind an den Musikern nicht spurlos vorbeigegangen. Und trotzdem rafft er sich noch einmal auf und bündelt alle seine Energien in die Songs und seine Performance. Das Akustik-Set, mit dem er das Konzert beginnt, ist präzise, direkt von allem Ballast befreite Songkunst. Dylans Mundharmonika-Begleitung („She belongs to me“/“4th time around“) klingt selten besser und konkreter. Das Band-Set hingegen ist ein elektroakustischer Hurrikan, ein Sturm getragen von Wut, Stolz und Genius. Und im Auge des Sturms steht Dylan – seine Fender-Gitarre fest im Griff, den Blick immer voraus.

Bob Dylan BoxEin letztes Wort zum Artwork: Die Doppel-CD steckt in einer mit Fotos aus D. A. Pennebackers filmischer Dokumentation der England Tour 1966 DON`T LOOK BACK äußerst geschmackvoll gestalteten (wie übrigens auch das ganze Boxset ein optischer Hingucker ist) Doppelfolder-Papphülle mit detaillierten Angaben zu den Musikern, Aufnahmedatum, Mixer, Produzenten und Masterengineer.

Was bleibt ?

Beide Veröffentlichungen schließen eine große Lücke in der Dylan Diskografie. Zusammen sind sie das Dokument einer der aufregendsten Phasen in der langen Karriere von Bob Dylan. Die vorbildlichen Linernotes der Box von Musikjournalist Clinton Heylin, die brillante authentische Soundqualität sowie das kuratorische Geschick der Verantwortlichen machen THE 1966 LIVE RECORDINGS und THE REAL ROYAL ALBERT HALL 1966 CONCERT! zu einem unverzichtbaren Muss für alle Fans von Bob Dylan.

Bob Dylan CD BoxBOB DYLAN – „The 1966 Live Recordings“ (36 CD Box, neuen Linernotes) erscheint am 11. November 2016. Das umfangreiche Set ist ein Muss für Bob-Dylan-Fans und Sammler, die noch einmal den jungen Singer-Songwriter live erleben wollen – zumindest auf CD.

Bob Dylan Cover The Real Royal Albert Hall 1966 Concert!BOB DYLAN – „The Real Royal Albert Hall 1966 Concert! (Live)“ erscheint am 25. November 2016 als Doppel-CD, Download und -Doppel-Vinyl.