Sep
18
2015

Sweet: Bunte Glam-Sause mit „Action!“

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Sie gehören zu den erfolgreichsten Bands der 1970er-Jahre und haben diese schillernde Dekade geprägt wie nur wenige Künstler sonst: Sweet legten 1971 mit „Co-Co“ los und stiegen mit Hits wie „Wig-Wam Bam“ und „The Ballroom Blitz“ zu Megastars auf. Die aufwendige Karriere-Retrospektive „Action!“ fängt diesen Mythos als Doppel-CD und fettes DVD-Package perfekt ein.

Text: Ernst Hofacker

Der Trick war genial: Als Europa zu Beginn der 1970er-Jahre von der Glamrockwelle überrollt wurde, beschloss das britische Produzententeam Nicky Chinn & Michael Chapman (Suzi Quatro, Smokie u. a.), deren androgynes Erscheinungsbild mit Bubblegum-Pop der ansteckendsten Sorte zu kombinieren. Die Songs und Hooklines dazu schrieben sie gleich selbst, und die lauteten „Ho-chi-ka-ka-ho, go go“ oder „Poppa-rumba-rumba-hey-poppa-Joe-coconut“. Was ihnen zunächst jedoch noch fehlte, war die passende Band. 1971 wurden sie fündig: Brian Connolly (Gesang), Andy Scott (Gitarre), Steve Priest (Bass, Gesang) und Mick Tucker (Drums) spielten in dieser Besetzung seit 1968 zusammen und hatten bislang nicht viel mehr als einige Single-Flops zustande gebracht. Die Londoner Band und das Team Chinnichap jedoch erwiesen sich als ideales Gespann – bingo!

Sweet_Bandbild_1973Plateaustiefel und Glitterschminke

Ab sofort räumten Sweet im ganz großen Stil ab. Nach dem Achtungserfolg „Funny Funny“ folgte im Sommer 1971 die erste Nr. 1 mit „Co-Co“, danach „Poppa Joe“, „Little Willy“, „Wig-Wam Bam“ und so weiter – allein in der Bundesrepublik gelangten zwischen 1972 und 1974 sechs Sweet-Singles nacheinander (!) auf Platz eins der Hitparade. Und nicht nur hierzulande, auch daheim im Königreich waren Connolly & Co. Stammgäste in den Charts. Ganz Europa schien in jenen Jahren der Sweetmania anheim gefallen, vier Singles der Band schafften es sogar in die US-Top-Ten – Erfolge, von denen andere Glamstars wie T. Rex nur träumen konnten (tatsächlich gelangte nur „Get It On“ 1971 als einzige T.-Rex-Single mit Mühe in die US-Top-Ten)!

Spätestens als Sweet 1973/74 ihr gefälliges Glampop-Konzept mit einer deftigen Portion Hardrock angereichert hatten und Songs wie „Teenage Rampage“, „The Ballroom Blitz“ und „Block Buster“ neben den weiblichen auch männliche Fans überzeugten (jedenfalls die, denen Led Zeppelin und Black Sabbath zu kompliziert waren), schien die Band rein gar nichts mehr falsch machen zu können. Zumal sie mit ihren modischen Statements auf Konzertbühnen, bei TV-Auftritten und auf Millionen von Postern legendäre Maßstäbe setzte: Connolly föhnte sein schulterlanges Blondhaar zur Innenwelle und kreierte damit einen Look, dem zahllose Bravo-Leser nacheiferten. Dazu sah man die Band in ihrer großen Zeit grundsätzlich in futuristischen Ganzkörper-Overalls aus metallisch und in allen Farben des Regenbogens leuchtendem Kunststoff oder Lackleder. Angetan mit den obligatorischen Plateaustiefeln und jeder Menge Glitterschminke, wurden Sweet so zu Urvätern des vor allem in den 1980er-Jahren erfolgreichen Glam-Metal-Genres.

Sweet_Bandbild_1974Nachwirkungen des großen Bebens

Ab 1975 allerdings begann der allmähliche Niedergang der britischen Erfolgstruppe. Im Vorjahr bereits hatten sich Sweet von ihrem Komponisten- und Produzentengespann Chinn/Chapman getrennt. Ihre Songs schrieben sie nun selbst, und zunächst blieben sie damit auch erfolgreich („Fox On The Run“, „Action“). Dabei konzentrierten sie sich jetzt auch stärker auf das Album-Format, und tatsächlich, Arbeiten wie „Give Us A Wink“ und „Level Headed“ wiesen die Band als veritable Hardrock-Formation aus, die den Status des Bubblegum-Glam-Leichtgewichts längst hinter sich gelassen hatte. Die Chartserfolge aber blieben zunehmend aus, lediglich „Love Is Like Oxygene“ konnte 1978 noch einmal an alte Triumphe anknüpfen.

Anfang 1979 gab Brian Connolly offiziell seinen Abschied bekannt. Sweet versuchten es noch eine Weile ohne ihn, 1982 aber gaben sie auf. Indes: Dies war nicht das Ende der Sweet-Saga. 1985 taten sich Mick Tucker und Andy Scott wieder zusammen und starteten erneut durch. Zwar zog sich Mick Tucker 1991 endgültig zurück, seitdem aber touren Andy Scott’s Sweet, wie sie nun offiziell heißen, höchst erfolgreich und unermüdlich um den Erdball. Brian Connolly, der nach seinem Ausstieg solo nur mäßig erfolgreich war und wegen seiner Alkoholsucht unter massiven gesundheitlichen Problemen gelitten hatte, starb am 9. Februar 1997 im Alter von nur 51 Jahren. Drummer Mick Tucker erlag am 14. Februar 2002 54-jährig den Folgen einer Leukämie-Erkrankung. Steve Priest, der seit dem Split von 1982 lange Zeit nur noch sporadisch als Musiker arbeitete, lebt mit seiner Familie schon lange in der Nähe von Los Angeles. Er gründete 2008 seine eigene Version von Sweet, mit der er noch gelegentlich in den USA und Kanada Konzerte gibt.

Bis heute genießen Sweet nicht nur Kultstatus bei ihren noch immer zahlreichen Fans, sondern darüber hinaus auch höchsten Respekt in Kollegenkreisen. So gab Gene Simmons einst zu Protokoll: „Ohne Sweet hätte es Kiss nie gegeben!“ Nikki Sixx schloss sich an und verriet: „Mötley Crüe wollten immer wie Sweet sein!“ Last but not least zog Def-Leppard-Frontmann Joe Elliott seinen Hut: „Sweet ist die Band, zu der ich immer gehören wollte!“

Sweet_Action_PackshotSweet – Action! (The Ultimate Story)

Aus Anlass des 40-jährigen Jubiläums von „Action“, einem der größten Hits der Band, gibt es die längst überfällige Karriereretrospektive: Unter dem Titel „Sweet – Action! (The Ultimate Story)“ kommt eine Doppel-CD mit allen großen Hits, diversen Raritäten und ganz neuen Songs (erhältlich als Standard- und Deluxe-Edition) sowie ein 3-DVD-Package mit praktisch sämtlichen erhaltenen Film- und TV-Material der originalen Band (darunter ein bislang unveröffentlichtes Konzert für den Bremer „Musikladen“) und Live-Mitschnitten von Andy Scott’s Sweet.


Das komplette Tracklisting der Doppel-CD:

CD 1
1. Action
2. Turn It Down
3. Lost Angels
4. Wig-Wam Bam
5. Little Willy
6. Peppermint Twist
7. The Ballroom Blitz
8. New York Groove
9. Natural
10. Call Me
11. Reach Out I’ll Be There
12. Defender
13. The Six Teens
14. Into The Night
15. Yesterday’s Rain
16. Do As I Say
17. Laura Lee
18. Love Is Like Oxygen
19. Fox On The Run

CD 2
1. Teenage Rampage
2. Burn On The Flame
3. Set Me Free
4. Cockroach
5. Hell Raiser
6. Blockbuster
7. Windy City
8. Sweet F.A.
9. Stairway To The Stars
10. 4th Of July
11. Everything
12. Sixties Man
13. Do It All Over Again
14. Lady Starlight
15. Poppa Joe
16. Co-Co
17. Funny Funny
18. Fever Of Love
19. The Lies In Your Eyes
20. Still Got The Rock