Apr
13
2004

Sex and drugs and Iggy Pop

Sex and drugs and Iggy Pop

Dieser Tage erschien im Hannibal Verlag der bereits im Original ordentlich zu Ruhm gekommene Interview-Roman „Please Kill Me – Die unzensierte Geschichte des Punk“ erstmals in deutscher Sprache. Als wahrer Punk-Gottvater reüssiert dabei ein Mann, der sich gleichsam den Orden als Bühnenshow-Revoluzzer und König sämtlicher Exzesse anheften darf: Iggy Pop. Wer nun glaubt, die von den Autoren Legs McNeil und Gillian McCain verwendete Montage-Textform sei ein schäbiger Rip Off des Jürgen Teipel-Romans „Verschwende Deine Jugend“, dem sei gesagt, dass die Erstauflage von „Please Kill Me“ bereits 1996 in die Buchläden kam. Vor uns liegt vielmehr Teipels literarische Inspiration, die die Geburt einer neuen Ausprägung des Rock’n’Roll eindrucksvoller kaum schildern könnte. Der Titel des Werks geht auf einen T-Shirt-Aufdruck des damaligen Television-Bassers Richard Hell zurück, mit dem man vor rund dreißig Jahren seine Außenwelt noch tüchtig schockieren konnte. Die Zitate noch lebender und bereits verstorbener Zeitzeugen ergeben ein radikal ungeschminktes Bild der Szene-Metropole New York in den 70ern, die auch das damalige Lebensgefühl der Akteure in eindrücklicher Weise mit einbezieht. Es ist die große Geschichte von Sex, Drugs & Rock’n’Roll, die Stories bereit hält wie die von Television-Basser Fred Smith, der Hippie-Röhre Janis Joplin mit einem Kasten Bier zu seiner Geliebten machte oder die Dee Dee Ramone ausführen lässt, wie er mit zarten 15 im Central Park sein erstes Dope kaufte. Es ist aber auch die Story einer Generation, die bewährte musikalische Rock-Klischees ablehnte, wie sie beispielsweise von Led Zeppelin oder Genesis verkörpert wurden. The Stooges, Television oder vergessene Helden wie die Dead Boys; sie alle suchten nach einem Gegenentwurf zu Sieben-Minuten-Songexzessen und langhaarigem Hippie-Rock. Sie alle wollten radikale Dekonstruktion und landeten nicht selten bei Destruktion, bis hin zur Spritze im Unterarm. Vorreiter dieser Anti-Haltung sind natürlich die heutigen Kritikerlieblinge von Velvet Underground, deren kommerzielles Schicksal zu Aktivzeiten zahlreiche Epigonen am eigenen Leib nachfühlen mussten, ob sie nun MC5, New York Dolls oder The Stooges hießen. Die Livekonzerte jener Bands bescherten den Clubbesitzern damals zwar durchweg volle Hütten (Iggy bewarf sein Publikum mit Rinderhack und sprang nackt in Glasscherben), als kommerziell vermarktbar erwiesen sie sich allesamt nicht. Die Anekdotensammlung ist dabei so bunt wie die Farbe der Pillen, die sich sämtliche Musiker im Laufe der Jahre einverleibten. So bestätigt der 1995 verstorbene Velvet Underground-Basser Sterling Morrison, dass zur Anfangszeit in Andy Warhols Factory „alle möglichen Barbiturate gefressen“ wurden, während Dee Dee Ramone später bevorzugt das Treibgas von Sprühsahne inhalierte. So richtig wüst trieben es aber The Stooges aus Detroit, deren Frontmann Iggy Pop über Jahre hinweg Heroin zu seinem Grundnahrungsmittel machte. Eine der abenteuerlichsten Geschichten ist denn auch die von Iggys Drogenforderung gegenüber Elektra Records Ende der 60er: „Ich kann unmöglich vier Auftritte hintereinander ohne Drogen absolvieren, harte Drogen. Das kostet soundso viel und ihr bekommt die Kohle hinterher von uns zurück.“ Zu Iggys Erstaunen reagierte Elektras Generaldirektor auf diesen Vorschlag wenig wohlwollend. Wie die Drogenvorräte verschlissen The Stooges auch ihre Tourmanager, die Iggys Eskapaden („Ich wollte Charles Manson sein“) irgendwann nicht mehr ertragen konnten. Spätestens nach „Raw Power“, dem dritten erfolglosen Stooges-Album in Folge, fand die Ära der Blow-Jobs und Swimming Pool-Bunnys 1973 für die Detroit-Combo ein jähes Ende. Nach einem schweren LKW-Unfall von Iggy und Bandkollege Scott Asheton fiel den beiden kurz darauf sogar nichts besseres ein, als den Unfallort nach den verlorenen Amphetaminen abzusuchen, wie sich Ron Asheton mit Grausen zurück erinnert. Dass derlei drogenvernebelte Individuen heute Heldenstatus genießen, liegt jedoch vorrangig am musikalischen Vermächtnis, das wiederum die Kreativität neuer Bands wie Suicide, Ramones oder auch David Bowie hörbar anfachte. Patti Smith hauchte der neuen Bewegung Mitte der 70er reichlich Poesie ein, der Ramones-Bande sowie den Dictators lag dagegen vor allem am Herzen, Texte über das wahre Leben zu schreiben, „das aus McDonald’s, Bier und Wiederholungen im Fernsehen bestand.“ Television dürfen sich als diejenigen feiern, die als erste Band im CBGBs auftraten und den ursprünglichen Country and Blues-Schuppen zum Punk-Mekka umfunktionierten. Mit der Geschichte der britischen Sex Pistols, deren Sicherheitsnadel gestärkte Normalitätsverweigerung später zum Punk-Sellout führen sollte, läuft der mächtige Wälzer gegen Ende ein bisschen aus der Spur. Vor allem die Ausschweifungen der zahlreichen Groupies und Ex-Betthüpfer bekannter Stars führen mit der Zeit zu Ermüdungserscheinungen beim Leser. Unterm Strich bleibt in dieser Sache lediglich eins zu bemerken: So wie die Girls keinen Unterschied machten, ob sie mit einem Punkrocker wie Dee Dee oder einem Mainstream-Bluesrocker wie Steven Tyler ins Bett stiegen, verfolgten auch Meister Iggy oder New York Dolls-Fronter Johnny Thunders strenge Macho-Allüren, egal wie viel Schminke sie in ihren Konzerten auftrugen. Mit „Please Kill Me“ liegt uns nun ein definitives Referenzwerk vor, das endlich neben Teipels Nachschlagewerk der deutschen Punkentwicklung einsortiert werden kann.